Archive for Juli, 2008

Erinnerungen an meinen still geboren Sohn,

Samstag, Juli 19th, 2008

 die ich um nichts in der Welt hergeben möchte.

Als ich das Thema Erinnerungen las, da dachte ich:“Klasse, was sollen wir denn dazu schreiben, die ein Kind bei der Geburt verloren haben?“. Was für Erinnerungen haben wir denn schon und die wenigen, die wir haben, dürfen wir in der Regel mit niemanden teilen, weil die anderen unser Kind nicht gekannt haben und natürlich keine eigenen Erinnerungen haben.
Auch heute noch, fast 9 Jahre nach dem Tod von Tobias, entsteht betretenes Schweigen oder wird das Thema gewechselt, wenn ich es wage, Erinnerungen von meiner ersten Schwangerschaft zu erzählen. Von meinen folgenden drei Schwangerschaften ist dies natürlich kein Problem. Insoweit beneide ich die Eltern, die so viele Erinnerungen haben und diese anderen erzählen können. Was für ein kostbarer Schatz, wenn er natürlich auf der anderen Seite sehr schmerzhaft ist.

Ultraschallbild mit Tobias Füssen
Ja, was habe ich für Erinnerungen: Zum ersten Mal schwanger. Die Faszination, der Stolz und auch die Dankbarkeit, daß in meinem Bauch doch tatsächlich neues Leben wächst. Zum ersten Mal die Herztöne gesehen, später gehört. Die ersten Bilder vom Ultraschall, in dem ich unser Kind zum ersten Mal im Detail sah, wie es am Daumen nuckelt, sich plötzlich weggedreht. Und dann ihn das erste Mal zu spüren, eine sanfte Bewegung und später die heftigen Tritte mit denen er mich jeden Morgen weckte. Natürlich ist da die Erinnerung an die Geburt, die so schön hätte sein können, wenn eine Hebamme und ein Arzt für mich da gewesen wären. Aber der unglaublich Augenblick, Tobias im Arm halten zu dürfen, ihn anzuschauen, zu berühren und zu riechen, ist am stärksten. Zu sehen, wie hübsch und vollkommen er ist.  Für mich immer noch – auch nach drei weiteren Kindern – eines der unglaublich schönsten und stolzesten Momente in meinem Leben.
Das sind alles Erinnerungen, die ich an meinen Sohn habe und die ich um nichts in der Welt hergeben möchte.


ursprünglich geschrieben 2006
veröffentlicht im Rundbrief
des Bundesverbandes Verwaister Eltern

Ich träume von Dir
spüre Deine Füßchen
wie sie gegen meinen Bauch treten
ertaste Dein Köpfchen
und genieße alles
bis ich in die Wirklichkeit zurückgeholt werde
nichts als unendliche Leere
Leere in mir und in meinen Armen
nur mein Herz ist voll
voll von Sehnsucht
Dich in den Armen zu halten
von Deinem Geschrei geweckt zu werden
Dich lachen zu hören
doch da ist nichts
nichts als unerträgliche
Stille und Einsamkeit
 
29.12.1997

„Mama, glaubst du an Gott?“

Sonntag, Juli 13th, 2008

Da von anderen die Frage nach Gott immer mal wieder gestellt wird, beschäftigt mich dies Thema in regelmäßigen Abständen. Anfang Dezember 2005 wurde mal wieder danach im Muschel-Forum http://www.muschel.net/ gefragt.

Meine Antwort: „RE: Mama, glaubst du an Gott?“

Liebe Anja,

nur zu gut kann ich verstehen, daß Du den Glauben an Gott nach dem Tod Deiner Jessica in Frage stellst. Auch ich erinnere mich, als ich aus dem Krankenhaus kam, mit leerem Bauch und leeren Armen, da dachte ich:“nein, dies kann mein Glaube nicht aushalten.“ und das machte mir Angst, denn ich wußte, ohne Gott würde ich es nicht schaffen, diesen Weg zu gehen. Ich habe in den nächsten Wochen und Monaten über meine Beziehung zu Gott nachgedacht, nächtelang gegrübelt. Eines stellte ich aber sehr schnell fest, ich hatte keine Zweifel, daß es einen Gott gibt, mir war nur unklar, wie ich mit diesem Gott nach Tobias Tod in eine Beziehung treten kann.

Zunächst war ich wütend auf ihn, womit habe ich das verdient, warum hat er mir das angetan, warum hat er das zugelassen. Als ich länger darüber nachdachte, schämte ich mich dafür, nicht dafür, daß ich wütend auf Gott war, ich glaube, das hält er ganz gut aus und würde es auch verstehe. Nein, denn ich wußte, jeden Tag sterben Kinder, zum Teil unter unvorstellbaren Qualen, und dies berührte meine Beziehung zu Gott nie wirklich, sondern erst, als ich es meinen Sohn traf. Dafür schämte ich mich.

Nein, natürlich ist Gott nicht für dieses Leid verantwortlich, das ja meistens durch Menschenhand geschieht. Er wird es selber am meisten hassen und mit den Menschen leiden, bei ihnen sein. Aber die anderen Fragen, womit habe ich das verdient und warum läßt er es denn zu, gingen weiter in meinem Kopf herum. Da merkte ich, daß dies doch gar nicht mit meinem Gottesbild vom liebenden Vater übereinstimmt. Glaubte ich wirklich an einen strafenden Gott, der irgendwelche Übertretungen bestraft. Nein, das ging gar nicht…

Aber die letzte Frage, war und ist immer noch am schwierigsten: Warum läßt er das Leid zu? Ich habe lange darüber gegrübelt und für mich keine wirklich befriedigende Antwort gefunden. Natürlich, was wäre das für ein Leben, wenn Gott alle unser Handlungen vorgeben würde, anders könnte er wohl alles Leid der Erde nicht verhindern. Doch wirklich verstehen tue ich es nicht. Aber ich habe begriffen, daß es etwas gibt, das ich niemals verstehen werden und es dennoch akzeptieren muß. Diese Erkenntnis hat etwas gedauert und war sehr schmerzlich.

Heute heißt für mich, an Gott zu glauben, auf Gott zu vertrauen, auf einen liebenden Gott, der zusammen mit mir weint, mich nicht alleine läßt.

Ich hoffe, ich habe Dich jetzt nicht mit meinem langen Posting zugetextet, aber Deine Frage, obwohl sie immer mal wieder im Forum gestellt wird, hat mich nicht losgelassen und ich merkte, daß ich auf einmal meine Entwicklung der Beziehung zu Gott, besser als früher beschreiben konnte. Wenn Dich noch mehr zu dem Thema interessiert. Ich habe auf meiner Website ein Themenseiten zum Glauben, dort sind auch andere Postings, viele Texte und auch ein Mitschrift eines Glaubensseminars zu dem Thema Gottesbild veröffentlicht, was mich sehr beeindruckt hat.

Ursprünglich geschrieben Dezember 2005

Ich vertraue Gott

Sonntag, Juli 13th, 2008

G eborgenheit in Deiner Hand mein Gott
L
iebe gist du bedingungslos
A
nnehmen tust du mich so wie ich bin
U
rvertrauen ist ganz tief in mir
B und
an den mich der Regenbogen erinnert
E nergie die niemals versigt

Gleich nachdem ich aus dem Krankenhaus kam, bin ich in mein Zimmer gegangen, habe mir das Vornamensbuch genommen und erst einmal nachgeguckt, was der Name Tobias bedeutet. Kai hatte den Namen Tobias ausgesucht und einfach beschlossen, daߠes ein Junge wirst und Tobias heißt. Ich merkte sehr schnell, daß ich mit ein wenig Glück noch einen zweiten Namen aussuchen dürfte, aber gegen Tobias nichts hätte machen können. Im Kreissaal fragte ich ihn dann auch nur ganz kurz, ob es denn jetzt auch bei Tobias bleibe. Er nickte nur stumm. Als ich dann im Vornamensbuch las: Tobias, hebr. von tobijahu = gut (ist) Jahwe (Gott), hat mich das beeindruckt und ich war froh, daß wir uns auf Tobias geeinigt hatten. Ich wußte zwar, daß Tobias eine Figur aus der Bibel war, doch ich hatte nie weiter darüber nachgedacht. Merkwürdig, daß ich nicht früher nachgeguckt habe, wo ich doch in dem Buch so viel herumgeblättert hatte. In der Woche, nach der ich Tobias geboren hatte, und in der es mir so gut ging, die so unwirklich war, hatte ich eine unbestimmte Angst. Die Angst, meinen Glauben, der mich bisher durch mein Leben begleitet hat und der mir für vieles so viel Kraft gegeben hatte, zu verlieren. Ich dachte nur, daß was mir passiert ist, werde ich niemals fassen können. Mein Glauben muß daran einfach zerbrechen. Ich versuchte in der Bibel zu lesen, was ich vorher ab und zu ganz gerne gemacht habe, aber ich fand nichts tröstliches und nichts was mich ansprach. Da fand ich auf einmal das kleine Buch, daß wir von unserem Pastor zur Hochzeit bekommen hatten. Ich schlug es auf und der folgende Spruch sprach mich sofort an:


“Es ist gut zu spüren, du da ist eine Hand, die dich hält.
Es ist gut zu spüren, du bist nicht alleine mit deinem Leben.
Es ist gut zu spüren, wenn keine Menschenhand mich mehr hält, bleibe ich geborgen in deiner Hand mein Gott.”

Als ich den ersten Tag im Büro war, habe ich den letzten Satz gleich als Bildschirmschoner eingegeben, der immer auftauchte, wenn ich kurze Zeit pausierte. Bis heute begleitet er mich durch den Tag.

Ich  erinnere  mich noch daran, es muß wenige Monate nach Tobias Tod gewesen sein, als ich mal wieder weinend mit dem Auto fuhr. Ich sehe sie genau vor mir ,die Kurve. Ich dachte nicht viel, sondern gab einfach Vollgas. Was soll’s. Doch kurz vor der Kurve bremste ich und fuhr ganz langsam herum. Weinend blieb ich dann am Straßenrand stehe. Als ich wieder aufschaute, da sah ich ihn, den Regenbogen. Ich schämte mich so, da ich sofort an den Bibeltext denken mußte: “Der Bogen über den Wolken ist das Zeichen des Bundes zwischen mir und den Menschen” Aber seitdem fahre ich ganz vorsichtig gefahren.

Auch wenn mir so vieles verloren gegangen ist, tatsächlich ist mir mein Glaube nicht verloren gegangen, sondern hat diese Zeit nicht nur unbeschadet überstanden, sondern ist auch gestärkt daraus hervor gegangen. Ich weiß nicht was für einen Sinn Tobias Tod für mich haben soll. Sicher, für mich hat sich vieles danach geändert, ich habe vieles von ihm geschenkt bekommen, aber ob das der Sinn war? Nein, ich kann es nicht glauben, weil für mich der Schmerz viel zu groß ist. Doch ich weiß heute, alles hat einen Sinn, auch dann, wenn wir ihn nicht erkennen. Ich vertraue Gott, daß auch dieses nicht einfach so geschehen ist. Vielleicht müssen wir nicht immer in allem einen Sinn sehen, vielleicht verstehen wir es einfach auch nicht, weil es über unsere Vorstellung geht. Aber vielleicht reicht es schon einfach aus, ihm zu vertrauen. Dabei fällt mir die Geschichte von Abraham ein, der sich solange nach einem Sohn gesehnt hat und Isaak dann selbst als Opfer für Gott töten sollte. In der Bibel steht, daß der Engel ihn anrief: “Tu ihm nicht zu leide, ich weiß jetzt, daß Du Gott fürchtest”. Doch so wie die Geschichte erzählt wurde, spüren ich keine Furcht Abrahams vor Gott. Er tut alles mit einer Selbstverständlichkeit, einer Gelassenheit, keine Spur von Angst. Spüren tut man nur sein vollkommenes Vertrauen in Gott. Wenn er verlangt, daß Abraham ihm das liebste auf der Welt gibt, was er hat, dann wird es einen Sinn haben, auch wenn er ihn nicht versteht. Um dieses vollkommene Vertrauen beneide ich Abraham unendlich.

Ursprünglich geschrieben August 1998

Rituale: Überbleibsel und altmodisch?

Samstag, Juli 12th, 2008

Vor dem Tod von Tobias, habe ich sie belächelt, die Rituale, als Überbleibsel, altmodisch und nicht mehr zeitgemäß. Aber nach dem Tod meines ersten Sohnes, habe ich sie wieder entdeckt. Ich war am Boden zerstört, mein Leben bestand nur aus Chaos und Trauer. Rituale waren für mich die Tür, die mich wieder ins Leben führte, etwas an das ich mich halten konnte, wenigstens etwas, was wieder etwas Struktur in mein Leben brachte. Dadurch ist mir bewußt geworden, wie wichtig – und zwar nicht nur in Krisenzeiten – Rituale sein können. Eines der ersten Rituale war, daß wir – immer wenn wir das Wohn- oder Eßzimmer betraten, diesen Stern für Tobias anzündeten. So war er auch sichtbar immer bei uns. An diesem Ritual habe ich auch gelernt, daß sie sich verändern können, denn heute zünden wir den Stern nur noch selten an, aber die besondere Bedeutung hat er auch weiterhin für uns.Gerne würde ich mehr von ganz persönlichen Ritualen berichten. Rituale, die uns an unsere Sternenkinder erinnern, Rituale wie wir Abschied genommen haben oder wie wir die besonderen
Tage begehen. Ich möchte so andere Betroffene ermutigen, eigene Rituale zu entwickeln, die ihnen helfen, ihren Schmerz besser zu ertragen.

Wer hat sie nicht erlebt, die Ausgrenzung, die Einsamkeit?

Samstag, Juli 12th, 2008

Wer hat sie nicht erlebt, die Ausgrenzung, die Einsamkeit? Plötzlich waren
alle weg – wie eine Explosion. Ursula Goldman-Posch schreibt hierzu in ihrem
Buch “Wenn Mütter trauern”: “Das Unverständnis von Verwandten und Freunden
sowie die mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten mit den behandelnden Ärzten,
die sie – wie mehrere Mütter formulierten – nach dem Babytod fast wie
Aussätzige meiden, machen diese Trauer zum verschämten Schmerz innerhalb der
eignen vier Wände.”

Und wenn man dann tatsächlich noch zeigte, dass man trauerte und sogar
versuchte, von seinem Sohn zu erzählen, dann wurde die Einsamkeit noch größer.
Es ist schon eigenartig, von meinem Vater, der vor 10 Jahren gestorben ist,
darf ich erzählen – es gibt so viele schöne Geschichten von ihm zu erzählen
und es ist einfach schön, sie zu erzählen oder zu hören, dass auch mein Bruder
die gleichen Geschichten von ihm erzählt – , aber wenn ich anfange von meiner
ersten Schwangerschaft zu erzählen, dann wird plötzlich das Thema gewechselt
oder ich werde mit entsetzen Augen angesehen. Von Tobias direkt zu erzählen,
habe ich bereits in meiner Familie aufgegeben. Für sie existiert er gar nicht.
Selbst die wenigen Erinnerungen, die wir haben, dürfen wir mit niemanden teilen.