Weltgedenktag für verstorbene Kinder am 14.12.2008

November 26th, 2008

Candlelight Jedes Jahr sterben allein in Deutschland 20.000 Kinder und junge Erwachsene, weltweit sind es um ein Vielfaches mehr. Und überall bleiben trauernde Eltern, Geschwister, Großeltern und Freunde zurück. Täglich wird in den einzelnen Familien dieser Kinder gedacht. Doch einmal im Jahr wollen weltweit Betroffene nicht nur ihrer eigenen Töchter, Söhne, Schwestern, Brüder, Enkel und Enkelinnen gedenken.

Jedes Jahr am 2. Sonntag im Advent stellen seit vielen Jahren Betroffene rund um die ganze Welt um 19.00 Uhr brennende Kerzen in die Fenster. Während die Kerzen in der einen Zeitzone erlöschen, werden sie in der nächsten entzündet, so dass eine Lichterwelle 24 Stunden die ganze Welt umringt.

Jedes Licht im Fenster steht für das Wissen, dass diese Kinder das Leben erhellt haben und dass sie nie vergessen werden. Das Licht steht auch für die Hoffnung, dass die Trauer das Leben der Angehörigen nicht für immer dunkel bleiben lässt. Das Licht schlägt Brücken von einem betroffenen Menschen zum anderen, von einer Familie zur anderen, von einem Haus zum anderen, von einer Stadt zur anderen, von einem Land zum anderen. Es versichert Betroffene der Solidarität untereinander. Es wärmt ein wenig das kalt gewordenen Leben und wird sich ausbreiten, wie es ein erster Sonnenstrahl am Morgen tut.
Aus:Tätigkeitsbericht 2003 Bundesverband Verwaiste Eltern)

Als wir vor ein paar Monaten nach Buchholz gezogen sind, habe ich dennoch mir ein Herz gefaßt und beim Pastor angerufen, ob ich in seinem Gottesdienst am 11.12.05 auf den Weltgedenktag hinweisen dürfte. Er war erst etwas unsicher, sagte es mir aber zu. Da ich gleich beim Gemeindebrief mitmachte, war es auch nicht schwer dort einen entsprechenden Artikel zu plazieren. Die Pastorin, die dort mitmacht, meldete mir sehr postive Rückmeldungen auf meinen Artikel und erklärte auch gleich, sie übernehme den Gottsdienst am 11.12.05 worüber ich mich freute. Heute also saß ich mit ihr zusammem im Gottesdienst. Da es eine neue Gemeinde ist – in meiner alten hatte ich das schon zweimal gemacht – war ich aufgeregter als sonst. Als ich an der Reihe war, ging ich nach vorne und sprach folgenden Text:
„Haben Sie schon einmal beobachtet, welche Wirkung das Anzünden einer Kerze auf Sie hat? (Ich ging nach vorne zum Altar und zündete eine Kerze an) Es hat etwas ungemein beruhigendes, fast friedliches. Zur Zeit zündet jeder von uns tagtäglich eine oder auch mehrere Kerzen an. Kerzen des Adventskranzes, Kerzen der Weihnachtspyramide und am Heiligen Abend Kerzen des Weihnachtsbaumes.

Auch ich werde heute Abend wieder eine Kerze anzünden. Eine ganz besondere Kerze, die allerdings nichts mit der Adventszeit zu tun hat. Eine Kerze, die für meinen ersten Sohn Tobias brennen wird, der bei der Geburt starb. So wie viele verwaiste Eltern, denn heute ist der Weltgedenktag für verstorbene Kinder und Geschwister. Es ist sicher nicht zufällig, daß dieser Tag im Advent liegt, denn die Weihnachtszeit ist für uns verwaiste Eltern eine nicht ganz einfache Zeit: Das Fest der Familie, aber einer fehlt und wird immer fehlen. Daher ist dieser Weltgedenktag für uns so wichtig:

Jedes Jahr am 2. Sonntag im Dezember stellen Betroffene rund um die ganze Welt um 19.00 Uhr brennende Kerzen in die Fenster. Während die Kerzen in der einen Zeitzone erlöschen, werden sie in der nächsten entzündet, so daß eine Lichterwelle 24 Stunden die ganze Welt umringt. Diese Lichterwelle zeigt den Eltern, daß sie nicht alleine sind.

Sternenkinderkerze Zusammen mit meinen anderen Söhnen werde ich daher heute Abend um 19 Uhr diese Kerze für Tobias anzünden und ins Fenster stellen. Vielleicht gibt es auch in Ihrer Familie oder Bekanntenkreis ein verstorbenes Kind, für das sie heute Abend eine Kerze anzünden.

Als der Gottesdienst zu Ende war, hörte ich hinter mir auf der Bank eine ältere Dame sagen:“Ich habe drei Kinder verloren, aber von so einem Tag habe ich noch nie gehört:“ Die andere Dame drückte ihre Hände. Im Ausgang wurde ich von einer Frau aus dem Kirchenvorstand angesprochen. Sie hätte das sehr bewegt und würde gerne nächsten Samstag (dort sehen wir uns in der Kinderkirche) mit mir näher sprechen. Ich glaube, heute haben in Buchholz zumindest vier Kerzen mehr gebrannt als sonst. Und im Gedenkgottesdienst in Adendorf habe ich für die drei Kinder der älteren Dame auch drei Kerzen angezündet.

Dezember 2005

„Hinter dem Vorhang“

November 18th, 2008

Eigenartig über so vieles zum Thema Tod habe ich in den letzten Jahren nach Tobias Tod was geschrieben. Vieles nur für mich, aber auch vieles für meine Website www.stillgeboren.de , die ich für andere Betroffene Eltern gemacht habe. Aber zu dem Thema, wie ich mir die Zukunft nach dem Tod vorstelle, nicht.

Das liegt vielleicht daran, dass ich mir gar keine so plastischen Vorstellungen gemacht habe, wie es Tobias jetzt geht. Ich schreibe regelmäßig in einem Forum für betroffene Eltern. Dort ist das natürlich immer mal wieder Thema. So schrieb eine Mutter:

 

„Irgendwie glaube ich das Jannis bei meinem Bruder und meinem Opa ist, sie sich gut um ihn kümmern. Ihm Geschichten von uns erzählen und auf uns aufpassen. Und wenn eines Tages meine Lebensuhr abgelaufen ist, dann komme ich auch dahin. An einem warmen, hellen Ort. Der eine friedliche Atmosphäre ausstrahlt und ich erkenne alle drei gleich wieder. Und wir werden uns erzählen, wie wir die Zeit erlebt haben und zusammen auf die Menschen aufpassen, die noch auf der Welt leben.“

 

Da ich an ein Leben nach dem Tode glaube, ist für mich natürlich ganz klar, dass Tobias bei Gott ist und das ist etwas wunderbares. Gott ist für mich Liebe. Ganz wundervolle, klare und pure Liebe. Also muss es ihm dort gut gehen. Das ist für mich keine Frage. Doch wie es dort genau aussieht, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.

Ein sehr tröstlicher Gedanke war gerade kurz nach dem Tod die Vorstellung, dass mein Vater, der 9 Jahre zuvor gestorben war, Tobias dort in Empfang genommen hat, in sozusagen begleitet. Es tat gut mir vorzustellen, dass Tobias, das Liebste was ich hatte, bei meinem Vater ist.

 

Kurz nach dem Tod von Tobias habe ich versucht, meine Trauer dadurch zu bewältigen, dass ich meinen Schmerz, meine Gefühle und alles was mich bewegte, aufschrieb. Und zwar nicht einfach so, sondern ich schrieb Tobias Briefe und später auch Gedichte. In meiner Vorstellung schrieb ich natürlich nicht an einen Säugling einen Brief, sondern an einen reifen erwachsenen Menschen. Ich glaube nicht, dass es hinter dem Vorhang noch ein Alter gibt, d.h. Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Alte bzw. das es irgendeine Bedeutung hat. Ich stelle mir vor: Allein mit dem Eintritt des Todes wird dieser Unterschied beseitigt.

 

 

Ein stilles Lächeln
auf Deinem friedlichen Gesicht
sagt mir
sei nicht traurig
Wurde er Dir erfüllt
der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
der Wunsch verschont zu bleiben
doch ich darf nicht mit Dir gehen
muß zurückbleiben
alleine
hoffe daß ich aus der Sintflut und Finsternis
immer wieder stets heiler und stärker
entlassen werde
damit ich irgendwann
die Taube erkenne
wenn sie mir den Zweig vom Ölbaum bringt
15.02.1998

Erinnerungen an meinen still geboren Sohn,

Juli 19th, 2008

 die ich um nichts in der Welt hergeben möchte.

Als ich das Thema Erinnerungen las, da dachte ich:“Klasse, was sollen wir denn dazu schreiben, die ein Kind bei der Geburt verloren haben?“. Was für Erinnerungen haben wir denn schon und die wenigen, die wir haben, dürfen wir in der Regel mit niemanden teilen, weil die anderen unser Kind nicht gekannt haben und natürlich keine eigenen Erinnerungen haben.
Auch heute noch, fast 9 Jahre nach dem Tod von Tobias, entsteht betretenes Schweigen oder wird das Thema gewechselt, wenn ich es wage, Erinnerungen von meiner ersten Schwangerschaft zu erzählen. Von meinen folgenden drei Schwangerschaften ist dies natürlich kein Problem. Insoweit beneide ich die Eltern, die so viele Erinnerungen haben und diese anderen erzählen können. Was für ein kostbarer Schatz, wenn er natürlich auf der anderen Seite sehr schmerzhaft ist.

Ultraschallbild mit Tobias Füssen
Ja, was habe ich für Erinnerungen: Zum ersten Mal schwanger. Die Faszination, der Stolz und auch die Dankbarkeit, daß in meinem Bauch doch tatsächlich neues Leben wächst. Zum ersten Mal die Herztöne gesehen, später gehört. Die ersten Bilder vom Ultraschall, in dem ich unser Kind zum ersten Mal im Detail sah, wie es am Daumen nuckelt, sich plötzlich weggedreht. Und dann ihn das erste Mal zu spüren, eine sanfte Bewegung und später die heftigen Tritte mit denen er mich jeden Morgen weckte. Natürlich ist da die Erinnerung an die Geburt, die so schön hätte sein können, wenn eine Hebamme und ein Arzt für mich da gewesen wären. Aber der unglaublich Augenblick, Tobias im Arm halten zu dürfen, ihn anzuschauen, zu berühren und zu riechen, ist am stärksten. Zu sehen, wie hübsch und vollkommen er ist.  Für mich immer noch – auch nach drei weiteren Kindern – eines der unglaublich schönsten und stolzesten Momente in meinem Leben.
Das sind alles Erinnerungen, die ich an meinen Sohn habe und die ich um nichts in der Welt hergeben möchte.


ursprünglich geschrieben 2006
veröffentlicht im Rundbrief
des Bundesverbandes Verwaister Eltern

Ich träume von Dir
spüre Deine Füßchen
wie sie gegen meinen Bauch treten
ertaste Dein Köpfchen
und genieße alles
bis ich in die Wirklichkeit zurückgeholt werde
nichts als unendliche Leere
Leere in mir und in meinen Armen
nur mein Herz ist voll
voll von Sehnsucht
Dich in den Armen zu halten
von Deinem Geschrei geweckt zu werden
Dich lachen zu hören
doch da ist nichts
nichts als unerträgliche
Stille und Einsamkeit
 
29.12.1997

„Mama, glaubst du an Gott?“

Juli 13th, 2008

Da von anderen die Frage nach Gott immer mal wieder gestellt wird, beschäftigt mich dies Thema in regelmäßigen Abständen. Anfang Dezember 2005 wurde mal wieder danach im Muschel-Forum http://www.muschel.net/ gefragt.

Meine Antwort: „RE: Mama, glaubst du an Gott?“

Liebe Anja,

nur zu gut kann ich verstehen, daß Du den Glauben an Gott nach dem Tod Deiner Jessica in Frage stellst. Auch ich erinnere mich, als ich aus dem Krankenhaus kam, mit leerem Bauch und leeren Armen, da dachte ich:“nein, dies kann mein Glaube nicht aushalten.“ und das machte mir Angst, denn ich wußte, ohne Gott würde ich es nicht schaffen, diesen Weg zu gehen. Ich habe in den nächsten Wochen und Monaten über meine Beziehung zu Gott nachgedacht, nächtelang gegrübelt. Eines stellte ich aber sehr schnell fest, ich hatte keine Zweifel, daß es einen Gott gibt, mir war nur unklar, wie ich mit diesem Gott nach Tobias Tod in eine Beziehung treten kann.

Zunächst war ich wütend auf ihn, womit habe ich das verdient, warum hat er mir das angetan, warum hat er das zugelassen. Als ich länger darüber nachdachte, schämte ich mich dafür, nicht dafür, daß ich wütend auf Gott war, ich glaube, das hält er ganz gut aus und würde es auch verstehe. Nein, denn ich wußte, jeden Tag sterben Kinder, zum Teil unter unvorstellbaren Qualen, und dies berührte meine Beziehung zu Gott nie wirklich, sondern erst, als ich es meinen Sohn traf. Dafür schämte ich mich.

Nein, natürlich ist Gott nicht für dieses Leid verantwortlich, das ja meistens durch Menschenhand geschieht. Er wird es selber am meisten hassen und mit den Menschen leiden, bei ihnen sein. Aber die anderen Fragen, womit habe ich das verdient und warum läßt er es denn zu, gingen weiter in meinem Kopf herum. Da merkte ich, daß dies doch gar nicht mit meinem Gottesbild vom liebenden Vater übereinstimmt. Glaubte ich wirklich an einen strafenden Gott, der irgendwelche Übertretungen bestraft. Nein, das ging gar nicht…

Aber die letzte Frage, war und ist immer noch am schwierigsten: Warum läßt er das Leid zu? Ich habe lange darüber gegrübelt und für mich keine wirklich befriedigende Antwort gefunden. Natürlich, was wäre das für ein Leben, wenn Gott alle unser Handlungen vorgeben würde, anders könnte er wohl alles Leid der Erde nicht verhindern. Doch wirklich verstehen tue ich es nicht. Aber ich habe begriffen, daß es etwas gibt, das ich niemals verstehen werden und es dennoch akzeptieren muß. Diese Erkenntnis hat etwas gedauert und war sehr schmerzlich.

Heute heißt für mich, an Gott zu glauben, auf Gott zu vertrauen, auf einen liebenden Gott, der zusammen mit mir weint, mich nicht alleine läßt.

Ich hoffe, ich habe Dich jetzt nicht mit meinem langen Posting zugetextet, aber Deine Frage, obwohl sie immer mal wieder im Forum gestellt wird, hat mich nicht losgelassen und ich merkte, daß ich auf einmal meine Entwicklung der Beziehung zu Gott, besser als früher beschreiben konnte. Wenn Dich noch mehr zu dem Thema interessiert. Ich habe auf meiner Website ein Themenseiten zum Glauben, dort sind auch andere Postings, viele Texte und auch ein Mitschrift eines Glaubensseminars zu dem Thema Gottesbild veröffentlicht, was mich sehr beeindruckt hat.

Ursprünglich geschrieben Dezember 2005

Ich vertraue Gott

Juli 13th, 2008

G eborgenheit in Deiner Hand mein Gott
L
iebe gist du bedingungslos
A
nnehmen tust du mich so wie ich bin
U
rvertrauen ist ganz tief in mir
B und
an den mich der Regenbogen erinnert
E nergie die niemals versigt

Gleich nachdem ich aus dem Krankenhaus kam, bin ich in mein Zimmer gegangen, habe mir das Vornamensbuch genommen und erst einmal nachgeguckt, was der Name Tobias bedeutet. Kai hatte den Namen Tobias ausgesucht und einfach beschlossen, daߠes ein Junge wirst und Tobias heißt. Ich merkte sehr schnell, daß ich mit ein wenig Glück noch einen zweiten Namen aussuchen dürfte, aber gegen Tobias nichts hätte machen können. Im Kreissaal fragte ich ihn dann auch nur ganz kurz, ob es denn jetzt auch bei Tobias bleibe. Er nickte nur stumm. Als ich dann im Vornamensbuch las: Tobias, hebr. von tobijahu = gut (ist) Jahwe (Gott), hat mich das beeindruckt und ich war froh, daß wir uns auf Tobias geeinigt hatten. Ich wußte zwar, daß Tobias eine Figur aus der Bibel war, doch ich hatte nie weiter darüber nachgedacht. Merkwürdig, daß ich nicht früher nachgeguckt habe, wo ich doch in dem Buch so viel herumgeblättert hatte. In der Woche, nach der ich Tobias geboren hatte, und in der es mir so gut ging, die so unwirklich war, hatte ich eine unbestimmte Angst. Die Angst, meinen Glauben, der mich bisher durch mein Leben begleitet hat und der mir für vieles so viel Kraft gegeben hatte, zu verlieren. Ich dachte nur, daß was mir passiert ist, werde ich niemals fassen können. Mein Glauben muß daran einfach zerbrechen. Ich versuchte in der Bibel zu lesen, was ich vorher ab und zu ganz gerne gemacht habe, aber ich fand nichts tröstliches und nichts was mich ansprach. Da fand ich auf einmal das kleine Buch, daß wir von unserem Pastor zur Hochzeit bekommen hatten. Ich schlug es auf und der folgende Spruch sprach mich sofort an:


“Es ist gut zu spüren, du da ist eine Hand, die dich hält.
Es ist gut zu spüren, du bist nicht alleine mit deinem Leben.
Es ist gut zu spüren, wenn keine Menschenhand mich mehr hält, bleibe ich geborgen in deiner Hand mein Gott.”

Als ich den ersten Tag im Büro war, habe ich den letzten Satz gleich als Bildschirmschoner eingegeben, der immer auftauchte, wenn ich kurze Zeit pausierte. Bis heute begleitet er mich durch den Tag.

Ich  erinnere  mich noch daran, es muß wenige Monate nach Tobias Tod gewesen sein, als ich mal wieder weinend mit dem Auto fuhr. Ich sehe sie genau vor mir ,die Kurve. Ich dachte nicht viel, sondern gab einfach Vollgas. Was soll’s. Doch kurz vor der Kurve bremste ich und fuhr ganz langsam herum. Weinend blieb ich dann am Straßenrand stehe. Als ich wieder aufschaute, da sah ich ihn, den Regenbogen. Ich schämte mich so, da ich sofort an den Bibeltext denken mußte: “Der Bogen über den Wolken ist das Zeichen des Bundes zwischen mir und den Menschen” Aber seitdem fahre ich ganz vorsichtig gefahren.

Auch wenn mir so vieles verloren gegangen ist, tatsächlich ist mir mein Glaube nicht verloren gegangen, sondern hat diese Zeit nicht nur unbeschadet überstanden, sondern ist auch gestärkt daraus hervor gegangen. Ich weiß nicht was für einen Sinn Tobias Tod für mich haben soll. Sicher, für mich hat sich vieles danach geändert, ich habe vieles von ihm geschenkt bekommen, aber ob das der Sinn war? Nein, ich kann es nicht glauben, weil für mich der Schmerz viel zu groß ist. Doch ich weiß heute, alles hat einen Sinn, auch dann, wenn wir ihn nicht erkennen. Ich vertraue Gott, daß auch dieses nicht einfach so geschehen ist. Vielleicht müssen wir nicht immer in allem einen Sinn sehen, vielleicht verstehen wir es einfach auch nicht, weil es über unsere Vorstellung geht. Aber vielleicht reicht es schon einfach aus, ihm zu vertrauen. Dabei fällt mir die Geschichte von Abraham ein, der sich solange nach einem Sohn gesehnt hat und Isaak dann selbst als Opfer für Gott töten sollte. In der Bibel steht, daß der Engel ihn anrief: “Tu ihm nicht zu leide, ich weiß jetzt, daß Du Gott fürchtest”. Doch so wie die Geschichte erzählt wurde, spüren ich keine Furcht Abrahams vor Gott. Er tut alles mit einer Selbstverständlichkeit, einer Gelassenheit, keine Spur von Angst. Spüren tut man nur sein vollkommenes Vertrauen in Gott. Wenn er verlangt, daß Abraham ihm das liebste auf der Welt gibt, was er hat, dann wird es einen Sinn haben, auch wenn er ihn nicht versteht. Um dieses vollkommene Vertrauen beneide ich Abraham unendlich.

Ursprünglich geschrieben August 1998

Rituale: Überbleibsel und altmodisch?

Juli 12th, 2008

Vor dem Tod von Tobias, habe ich sie belächelt, die Rituale, als Überbleibsel, altmodisch und nicht mehr zeitgemäß. Aber nach dem Tod meines ersten Sohnes, habe ich sie wieder entdeckt. Ich war am Boden zerstört, mein Leben bestand nur aus Chaos und Trauer. Rituale waren für mich die Tür, die mich wieder ins Leben führte, etwas an das ich mich halten konnte, wenigstens etwas, was wieder etwas Struktur in mein Leben brachte. Dadurch ist mir bewußt geworden, wie wichtig – und zwar nicht nur in Krisenzeiten – Rituale sein können. Eines der ersten Rituale war, daß wir – immer wenn wir das Wohn- oder Eßzimmer betraten, diesen Stern für Tobias anzündeten. So war er auch sichtbar immer bei uns. An diesem Ritual habe ich auch gelernt, daß sie sich verändern können, denn heute zünden wir den Stern nur noch selten an, aber die besondere Bedeutung hat er auch weiterhin für uns.Gerne würde ich mehr von ganz persönlichen Ritualen berichten. Rituale, die uns an unsere Sternenkinder erinnern, Rituale wie wir Abschied genommen haben oder wie wir die besonderen
Tage begehen. Ich möchte so andere Betroffene ermutigen, eigene Rituale zu entwickeln, die ihnen helfen, ihren Schmerz besser zu ertragen.

Wer hat sie nicht erlebt, die Ausgrenzung, die Einsamkeit?

Juli 12th, 2008

Wer hat sie nicht erlebt, die Ausgrenzung, die Einsamkeit? Plötzlich waren
alle weg – wie eine Explosion. Ursula Goldman-Posch schreibt hierzu in ihrem
Buch “Wenn Mütter trauern”: “Das Unverständnis von Verwandten und Freunden
sowie die mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten mit den behandelnden Ärzten,
die sie – wie mehrere Mütter formulierten – nach dem Babytod fast wie
Aussätzige meiden, machen diese Trauer zum verschämten Schmerz innerhalb der
eignen vier Wände.”

Und wenn man dann tatsächlich noch zeigte, dass man trauerte und sogar
versuchte, von seinem Sohn zu erzählen, dann wurde die Einsamkeit noch größer.
Es ist schon eigenartig, von meinem Vater, der vor 10 Jahren gestorben ist,
darf ich erzählen – es gibt so viele schöne Geschichten von ihm zu erzählen
und es ist einfach schön, sie zu erzählen oder zu hören, dass auch mein Bruder
die gleichen Geschichten von ihm erzählt – , aber wenn ich anfange von meiner
ersten Schwangerschaft zu erzählen, dann wird plötzlich das Thema gewechselt
oder ich werde mit entsetzen Augen angesehen. Von Tobias direkt zu erzählen,
habe ich bereits in meiner Familie aufgegeben. Für sie existiert er gar nicht.
Selbst die wenigen Erinnerungen, die wir haben, dürfen wir mit niemanden teilen.